Zentrale Veranstaltung der diesjährigen Berliner Aktionstage zur Alkohol- und Drogenprävention war eine Fachtagung zum Schwerpunktthema Cannabis. „Kiffen ist in … darüber sprechen (noch) nicht?!“ war das Motto der Tagung. Am 30. Juni 2016 diskutierten Fachleute, Pädagog*innen, Sozialarbeiter/innen und Eltern in der Zitadelle Spandau über den oft schwierigen Umgang mit dem „Kiffen“ und den Folgen des Cannabis-Konsums. Die Tagung war restlos ausgebucht, das Interesse war sehr viel größer als Plätze zur Verfügung standen. „Das große Interesse an dieser Tagung zeigt, dass für Eltern und Pädagogen diese Gelegenheiten zur Reflexion der eigenen Haltung und zum Austausch mit anderen wichtig sind, um im Alltag angemessen reagieren zu können“, sagt Kerstin Jüngling, Geschäftsführerin der Fachstelle für Suchtprävention Berlin. „Die Berliner Aktionstage und die Tagung sind gute Möglichkeiten, tatsächlich darüber zu sprechen und Anregungen in den Alltag mitzunehmen“, so Kerstin Jüngling weiter.
Im beeindruckenden Gotischen Saal der Zitadelle Spandau begrüßten Kerstin Jüngling für die Projektgruppe „Na klar…!“ als Organisatorin der Tagung und Gerhard Hanke, Bezirksstadtrat für Jugend, Bildung, Kultur und Sport des gastgebenden Bezirks Spandau, die Teilnehmenden herzlich und wünschten allen gute Erkenntnisse und dass die Veranstaltung Mut macht für Gespräche über Cannabis.
Dr. Darius Chahmoradi Tabatabai von der Hartmut-Spittler-Klinik bot in seinem Vortrag neben einer breiten thematischen Einführung zu aktuellen Fakten zur Verbreitung und Wirkung von Cannabis dann Einblicke in den Klinikalltag eines Arztes, der cannabissüchtige Patienten behandelt. Er betonte die schwierige Balance zwischen Verharmlosung („Alkohol ist ja auch gefährlich“) und Dramatisierung. In der Behandlungspraxis sei vor allem der Mischkonsum problematisch, weil er nicht nur gefährlich sei, sondern auch die Behandlungsdauer bei einer Therapie deutlich erhöhe. Zur Behandlung von Abhängigkeiten, aber auch bei Gesprächen mit Jugendlichen, sei es wichtig, nicht die Substanz in den Fokus zu stellen, sondern den Menschen und seine Beziehung zur Substanz.
Maud Winkler vom Schulz von Thun Institut für Kommunikation stellte in einem spannenden interaktiven Vortrag Perspektiven für Gespräche mit Konsumenten vor. Der Devise folgend „vor dem Blick nach außen kommt der Blick nach innen“ stellte sie das „Inneres-Team“-Modell vor. Die Idee ist, dass in jedem Menschen verschiedene „Seelen“ in der Brust schlagen, die auch im Widerstreit stehen und das Handeln beeinflussen.
Um (Beratungs-)Gespräche mit Konsumierenden führen zu können, ist es sinnvoll zu verstehen wer diese „inneren Teammitglieder“ in der entsprechenden Situation sind. Mit Hilfe des Publikums wurde dargestellt, welche Teammitglieder beim Gespräch mit einer starken Cannabiskonsumentin für die Therapeutin eine Rolle gespielt haben. Bei aller Erfahrung in Gesprächen sagte Maud Winkler dennoch: „Es gibt keine Heilsperspektive. Solche Gespräche bleiben schwer“. Das Bewusstwerden der Aufstellung des „inneren Teams“ hilft jedoch Gespräche zielführender gestalten zu können.
Um die Fakten zu Cannabis und das Wissen der Kommunikationswissenschaft mit den alltäglichen Gesprächssituationen in Verbindung zu bringen, wurden mit Hilfe der Schauspielerin Judith Evers (www.eversschauspiel.com) zwei Gesprächsszenen inszeniert – das Gespräch der besorgten Mutter Susanne Niemeyer mit ihrer kiffenden jugendlichen Tochter Lisa und das Gespräch der Lehrerin Frau Kraft mit Lisa, die bei ihr die 9. Klasse besucht. Diese Gespräche wurden nach einer Einführung zur motivierenden Gesprächsführung von Anke Schmidt und Inga Bensieck, Referentinnen der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin, noch einmal unter die Lupe genommen. Die Reflexion der Gespräche zielte darauf ab zu verstehen, wo die Kommunikation „hakte“, was im Gespräch eher hinderlich war und welche Aussagen oder Reaktionen für die Jugendliche Lisa als hilfreich wahrgenommen wurden.
Beim anschließenden World Café konnte der Austausch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in zu den Themen „Motivierende Gesprächsführung“, Klare Haltung als Hilfe im Gespräch“ bzw. „Entwicklung einer professionellen Haltung“ in kleineren Runden fortgesetzt werden. Darüber hinaus wurden weitere Themen wie „Frühinterventionsangebote in Berlin“, dank der Unterstützung von Daniela Chudoba (www.chubus.de) der „Resilienzzirkel“ oder der Ansatz „Risflecting“ besprochen, die ebenfalls hilfreich sind in der Arbeit mit Jugendlichen. Einig waren sich am Ende alle: wir müssen miteinander reden!
Wir danken Wolfgang Porsche (radioeins), der als Moderator mit Geschick und Humor durchs Programm führte. Wir danken allen Referent*innen und Moderator*innen der World Café-Tische für die engagierten Beiträge. Und last but not least danken wir der AOK Nordost – die Gesundheitskasse, der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, den Bezirken Tempelhof-Schöneberg, Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Spandau für die Unterstützung, ohne die diese Tagung so nicht hätte stattfinden können.
Die Video-Dokumentation der Fachtagung: